Die Küche ist der Spiegel des gesellschaftlichen Wandels in Zeiten, in denen Kochen von der Notwendigkeit zum Lifestyle wird. Nach dem Esszimmer erobert die Küche deshalb nun auch das Wohnzimmer. Die Küchenhersteller reagieren mit überraschenden Neuerungen und einer innovativen Formensprache, die das gemeinsame Essen zu einem unvergesslichen Erlebnis machen.
Es ist ein Paradox:
Obwohl in den Metropolen dieser Welt immer seltener gekocht wird, werden häufiger Freunde zum Essen eingeladen – und geben deshalb auch mehr Geld für Küchen aus. Die müssen längst nicht mehr nur zweckmäßig und funktional sein, sondern neben hochwertiger Ausstattung auch dem gestiegenen Designbewusstsein der Käufer Rechnung tragen. Wo die Küche zum Wohnraum wird, wächst der Wunsch nach Individualisierung, die über die Auswahl von Schrankfronten hinausgeht. Immer häufiger werden neue Wohnungen deshalb schon um die Küche herum geplant. Weil das Kochen zum geselligen Ereignis wird, findet es zunehmend nicht mehr nur im stillen Kämmerlein statt, sondern wird entsprechend repräsentativ zelebriert.
Die Kräuter zum Würzen stehen mit auf dem Tisch, in Schubladen verstecken sich Besteck und Zubehör. So werden die Gäste bei gemeinsamen Koch-Abenden gleich involviert und bleiben bei der Essenszubereitung nicht außen vor. Während die Küchenhersteller mutiger werden, den Wohnraum zu erobern, wagen sich auch Möbelhersteller in den Küchenbereich.
Als neuer Mittelpunkt der Wohnung ist die Küche nicht mehr an einen festen Ort gebunden – schon gar nicht an statische Wände. Gerade in kleinen Wohnungen sind kompakte Küchen beliebter als fulminante Kochlandschaften. Sie sehen mitunter aus wie Sideboards und sind in der Wohnung frei kombinierbar, was auch bei häufigen Umzügen ein Vorteil ist. Sie bieten gerade so viel Stauraum wie nötig, aber weil Ordnung und Übersicht bei ihnen an erster Stelle stehen, ist alles stets griffbereit.
Mancher Hersteller zerlegt die Küche in drei Elemente: Werkbank (mit Wasserstelle, Kochzone und Essbereich), Geräteschrank (mit Backofen und Kühlschrank) und Werkschrank (in dem alles Zubehör offen sichtbar ist). So werden Küchen-Utensilien zu Statement Pieces: von Gläsern, die wie Skulpturen anmuten bis hin zu in Leder gekleideten Nespresso-Maschinen, in Rattan eingeflochtene Thermoskannen und Schneidebrettchen, die wie Raumskulpturen wirken.
In moderner Form verhilft das auch vermeintlich antiquierten Möbeln, wie dem Küchenbuffet, zu einem Comeback. Oft lassen sich die maßgeschneiderten Lösungen nach Belieben konfigurieren und mit anderen Möbeln kombinieren; multifunktionale Küchengeräte oder Töpfe und Pfannen mit abnehmbaren Griffen helfen beim Platzsparen.
Die aus dem Alpenvorland stammende urige Bauernküche ist heute ein Auslaufmodell. Stattdessen setzen die Hersteller auf moderne Interpretationen rustikaler Landhausküchen, die großzügig angelegt und weitaus geradliniger sind. Sie leben vom Wechselspiel hochwertiger natürlicher Materialien wie Holz, Naturstein und Keramik, die nicht nur Wärme ausstrahlen und sich leicht pflegen lassen, sondern deren Oberflächen auch ein haptisches Erlebnis bieten – nostalgisches Flair bei moderner Anmutung. Dabei spielt es keine Rolle, ob Arbeitsplatten und Fronten nun massiv oder filigran sind. Die neuen Landhausküchen bestechen durch raffinierte Technik und geschickte Stauraumlösungen und sind heute nicht mehr nur in Häusern auf dem Land zu finden, sondern auch in Stadtwohnungen.
Die passenden Küchenutensilien sind nah am Zeitgeist – Messergriffe aus aromatisch duftendem Holz oder Teller aus handgefertigtem Porzellan runden das sinnliche Erlebnis der neuen Landhaus-Küche ab.
Es ist noch nicht lange her, da waren offene Küchen ein Novum. Jetzt verwandeln sie sich in urbanen Lofts und großzügigen Häusern durch klare Linien und grifflosen Fronten in puristische Kunstwerke, die sich nahtlos in die Architektur der Wohnung einpassen. Küchen werden zum Statussymbol, und wo es der Raum erlaubt, gleich zum Showpiece der Wohnung.
Während Edelstahl lange Zeit, vor allem in industriellen Großküchen verbaut wurde, entfaltet das Material im Zusammenspiel mit matt lackierten Oberflächen eine kraftvolle Wirkung. Moderne Küchen werden zu kubistischen Wunderwerken, hinter deren Fassade sich oft ein ausgefeiltes Innenleben offenbart. Häufig verwendete Utensilien und Lebensmittel werden in Nischen versteckt und bleiben trotzdem in Griffweite, ohne das Erscheinungsbild zu stören.
In offenen Wohnstrukturen hat sich die klassische Aufteilung aus Kücheninsel mit raumhohen Wandschränken bewährt. Neu ist, dass mitunter keine Sockel mehr zu sehen sind, wodurch eine großflächigere Optik entsteht. Freistehende Inseln erwecken so den Anschein eines monolithischen Monuments, das in Zusammenspiel mit Hoch- und Oberschränken zu einem stimmigen Gesamtbild erwächst. Diese Komposition erzeugt eine repräsentative Atmosphäre, die von Kleinigkeiten perfektioniert wird: ein kleines Fugen-Maß etwa und sanft gleitende Schließmechanismen geben der Küche zusammen mit skulpturalem, dekorativem Küchenzubehör den letzten Schliff.
Ein großer Treiber der weiteren Küchen-Entwicklung ist die Digitalisierung. Neben den Apps der Gerätehersteller sollen auch personalisierte Assistenten wie „Alexa“ oder „Mykie“, der extra zum Kochen entwickelt wurde, die Küche in eine „Smart Kitchen“ verwandeln. Sie wissen etwa, was sich im Kühlschrank befindet, wie das Wetter wird und wie lange die Lasagne noch im Ofen bleiben muss. Intelligente Kühlschränke sortieren nicht nur Lebensmittel nach Frische, sondern avancieren zu Kommunikationszentralen, über die nicht nur Einkaufslisten zusammengestellt, sondern auch Nachrichten mit der Familie ausgetauscht werden können. Schon heute gibt es etwa Backöfen, die durch selbstständige Temperaturregelung Backzeiten drastisch verkürzen.
Auf eines achten die Hersteller bei diesen Neuerungen allerdings genau: dass der Spaß am gemeinsamen Kochen nicht verloren geht.